von Pfarrer Thomas Hartmann

bruederkirche

Innerhalb der Mauern der Stadt Lippe (heute: Lippstadt) lebten um das Jahr 1520 weniger als 3000 Bürger. Trotz dieser geringen Bevölkerungszahl wurde das Stadtbild durch den Anblick der großen Kirchenbauten St. Marien, St. Nicolai und St. Jacobi bestimmt.

Dieser Umstand war nur ein Indiz dafür, dass das klerikale Leben zu jener Zeit sehr ausgeprägt war. So gab es neben den drei großen Kirchen zwei Nonnenklöster, das der Augustinerinnen und das der Schwestern des gemeinsamen Lebens, den St. Annen-Rosengarten, zwei Hospitäler, mehrere Kapellen und den Konvent der Augustiner-Eremiten, dem für die Anfänge der Reformation eine besondere Bedeutung zukommen sollte. In Cappel, nicht weit von der Stadt entfernt, lag außerdem das über die Region hinaus bekannte Kloster der Prämonstratenserinnen. Es war eher eine historische Randnotiz, die das reformatorische Gedankengut in die Stadt brachte. Als der Generalvikar der sächsischen Augustinerkongregation Johann Staupitz in Wittenberg 1520 sein Amt niederlegen musste, folgte diesem Wenzeslaus Linck. Dieser war ein enger und vertrauter Freund Martin Luthers. Im Jahre 1521 unternahm der neue Generalvikar eine Inspektionsreise, die ihn auch in die Stadt Lippe führte. Hier inspizierte er das Augustiner-Eremiten Kloster, das im nordöstlichen Lippebogen gelegen war. Dieses wurde um 1280/81 von Friedrich von Hörde, Herr von Schwarzenraben und Störmede, gegründet. Der Baubeginn der Kirche wird auf das Jahr 1290/1300 datiert. Bei dem Kirchenbau (heute noch als Brüderkirche bekannt) handelt es sich um eine unsymmetrische, zweischiffige Hallenkirche von drei Jochen. An der Nordseite, zum Kloster hin, besitzt sie keine Fenster. Bei seinem Besuch des Lippstädter Konvents lernte Linck den Mönch Johann Westermann kennen. Johann Westermann wurde um das Jahr 1490 in oder bei Lippstadt geboren. 1510/11 war er an der Universität in Wittenberg immatrikuliert. Im Jahre 1520 wurde er Prior des Augustiner-Eremiten-Klosters an der Lippe. Generalvikar Linck ermutigte Westermann zu einem zweiten Aufenthalt in Wittenberg, wo dieser 1523 zum Doktor der Theologie promovierte.

Westermann und seine Fastenpredigten

lippstadt 1647Nach Lippstadt zurückgekehrt, hielt Westermann 1524 seine Fastenpredigten und veranlasste den Druck seiner Zehn-Gebote-Auslegung unter dem Titel „Eine christliche Auslegung der zehn Gebote und des Vater Unsers, wie sie im Augustiner Kloster zur Lippe in der Fastenzeit gepredigt worden ist durch Bruder Johann Westermann, Doktor der Heiligen Schrift, im Jahre 1524“. In diesem Werk brachte Westermann die Rechtfertigungslehre Luthers mit folgenden Worten zum Ausdruck: „…dass wir mittels des Glaubens durch Gottes Gnade selig werden und nicht aus unseren Werken. Denn ohne Glaube und Vertrauen auf Gottes Gnade wird kein Werk von Gott angenommen. Darum ist das Vertrauen auf Gottes Gnade in allen Werken das rechte Hauptstück. Und dieses Vertrauen ist eine Gabe Gottes. Denn kein Mensch kann aus seinen eigenen Kräften dahin kommen, dass er sich selbst also übergebe und sich auf Gott und sein Wort verlasse“ (Die Schriften Johann Westermanns 1524/25, Seite 31). Der Katechismus wurde vermutlich vor Ort gedruckt und verbreitete sich rasch in ganz Westfalen. Westermann hat seine Predigten und seinen Katechismus in der damaligen Volkssprache verfasst. In der Einleitung findet sich der Hinweis, dass er: „von etlichen frommen Christen gebeten (sei) und auch zum Dienste der einfachen einfältigen Herzen eine kurze christliche Auslegung vom Gebrauch und der Erfüllung der Gebote durch den Druck herauszugeben!“. Somit stellt der Katechismus Westermanns eine wertvolle Quelle für die Umgangssprache dar, die in dieser Zeit gebräuchlich war. Vergleicht man den Wortbestand Westermanns mit dem Luthers, so kann man feststellen, dass dieser eine Umwandlung des Lutherschen Bibeldeutsch ins Niederdeutsche vorgenommen hat.

Im Vergleich zu Luther hat Westermann seine Meinung jedoch mit nüchterner Sachlichkeit und Mäßigung vertreten. Durch Prediger wie Johann Westermann gelangte die reformatorische Idee zunächst unter die städtische Bevölkerung, vor allem zu den Handwerkern und den Gewerbetreibenden. Im Vergleich zu anderen Regionen konnte die Reformation in Westfalen jedoch erst spät Fuß fassen. Dies resultiert daraus, dass es zuerst nur wenige Adlige gab, die sich für die Lehren Luthers aufgeschlossen zeigten. Dagegen erwiesen sich besonders die größeren Städte als ein geeigneter Nährboden für die reformatorischen Ideen. Eine besondere Bedeutung kam dabei den Konventen der Augustiner-Eremiten zu, die neben der Stadt Lippe auch in Herford und Osnabrück ansässig waren.

Die Inquisition in der Stadt Lippe

rathausplatzIn Folge der reformatorischen Veränderungen wurde der Dominikanermönch Dr. Romberg im Jahre 1526 vom Erzbischof von Köln als Inquisitor in die Stadt Lippe gesandt. Dieser versuchte Westermann zum Widerruf seiner Glaubenssätze, insbesondere zur Rechtfertigungslehre, zu bewegen. Dieser Versuch war nicht von Erfolg gekrönt. Die Aufforderung Westermanns zu einer öffentlichen Diskussion lehnte Dr. Romberg ab. Stattdessen verfasste dieser einundzwanzig Sätze gegen die ketzerische Irrlehre Westermanns und lies diese in der Marienkirche verteilen. Darunter waren folgende Sätze zu lesen: „Es irret der, der saget, dass die neue Sekte der Lutheraner oder dass der Glaube recht sei“ und „So ist es eine große Narrheit, zu sagen, dass das Licht der evangelischen Wahrheit, wenn man darunter der Lutheraner Lehre meinet, in dieser Stadt Lippe werde aufgehen, oder dass solches nötig sei“ und schließlich „Wer das behauptet, dass der Glaube allein ohne die guten Werke genug sei, nämlich zur Rechtfertigung und Seligkeit, der irret“ (aus: Beiträge zur Stadtgeschichte, Seite 120f.).

Für die Stadt Lippe wurde im Jahre 1531 Gerhard Oemeken mit der Ausarbeitung einer Kirchenordnung beauftragt. Gegen den Widerstand der Landesherren, dem Grafen zur Lippe und dem Herzog von Jülich-Kleve-Berg, beharrten die Bürger auf der neu gewonnenen Glaubensfreiheit. Es kam zu einem Aufstand in der Stadt, der von den Zünften und den Anhängern der lutherischen Bewegung ausging. Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" hatte dazu beigetragen, dass sich die latenten sozialen Spannungen in offenen und erbitterten Auseinandersetzungen verschärften. Und auch Westermann betonte eindrücklich, „das einzige Gesetz des Christenmenschen ist, kein Gesetz zu haben. Und deshalb gibt es für ihn nur dieses einzige Gelübde, immer und überall frei zu sein“ (Klockow, S.123).  Während die besitzmäßig schlechter gestellten Gruppen, die Zünfte und Ämter, sich durch solche theologischen Aussagen in ihrem Kampf um mehr Freiheit bestätigt sahen, rief der Rat der Stadt – ähnlich wie in Soest – zum Nachgeben gegenüber den Forderungen aus Detmold und Kleve auf. Eine Umwälzung der städtischen Ordnung war in der Folge unumgänglich. Im Jahre 1533 wurde Johann Westermann nach Münster gerufen, um bei der Aufstellung einer Kirchenordnung zu helfen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch und er wurde von den Wiedertäufern vertrieben.

Werben um Westermann

Anfang 1534 unternahm der Rat Soest den Versuch Westermann nach dort zu holen. Dieser schien auch nicht abgeneigt gewesen zu sein. Doch das Vorhaben scheiterte, weil die Herren der Stadt Lippe ihr Einverständnis verweigerten. Auch in Soest war es mittlerweile zu Unruhen gekommen, ohne dass der Landesherr, Johan von Kleve, Gegenmaßnahmen ergriffen hatte. Am 15. Juni 1535 wurde die Stadt Münster durch das Heer des Herzogs Johann zu Kleve eingenommen und dem Treiben der Wiedertäufer ein Ende gesetzt. Nun war es zu erwarten, dass sich das Heer des Herzogs gegen die Stadt Lippe wenden würde. Dieses Risiko konnten und wollten die Verantwortlichen der Stadt nicht eingehen. So erklärten diese am 14. August die bedingungslose Unterwerfung unter ihren weltlichen Herren. Bereits am folgenden Tag zogen die Herren mit ihrem Gefolge in die Stadt ein.  Die reformatorischen Prädikanten mussten daraufhin Lippstadt verlassen. Sie wurden aber an anderen Orten mit offenen Armen empfangen. Die Entscheidung des Bekenntnisses in der Stadt Lippe wurde zunächst ausgesetzt. Klarheit in diesen Fragen sollte durch ein allgemeines Konzil erreicht werden. Johann Westermann gelangte ins hessische Hofgeismar. Hier war er von 1535-1542 als erster evangelischer „Diaconus“ an der Altstädter Kirche tätig. In Hofgeismar ist er 1542 im Alter von 52 Jahren verstorben.

Abschließend lässt sich sagen, dass Johann Westermann für die Anfänge der Reformation in der Stadt Lippe und über die Stadtmauern hinaus, einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Sein Werk ist von seiner Überzeugungskraft und seiner Beharrlichkeit geprägt. Es ist schon erstaunlich, welche Wirkung seine Fastenpredigen in der heutigen Brüderkirche hatten.

Literatur
Die Schriften Johann Westermann 1524/35, herausgegeben von Hartwig Walberg.
Helmut Klockow, Lippstadt Beiträge zur Stadtgeschichte, 1964
Herbert Westermann: D. Johannes Westermann. In: Lippstädter Heimatblätter, Lippstadt 1999. S. 73 ff.
Norbert Nagel, Herbsttagung der Kommission für Westfalen – Die Reformation in Westfalen, 2015

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Thomas Hartmann

ist Pfarrer der Evangelischen
Kirchengemeinde Lippstadt

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