Ob der Schritt mutig oder verzweifelt ist, den die Evangelische Kirchengemeinde nun geht, wird sich vermutlich erst im Nachhinein zeigen. Konsequent sind die Entscheidungen der vieldiskutierten Agenda 23 aber auf jeden Fall. Die Kirchengemeinde wird ihre Arbeit darauf ausrichten, Menschen neu für den Glauben und die Kirche zu begeistern. Das hat weitreichende Folgen für die Angebote, die Strukturen und die Gebäude. Vier Gebäude werden zum 1. Januar 2024 stillgelegt.
„Wir stehen als Kirche vor großen Herausforderungen. Die Menschen treten aus der Kirche aus. 2022 waren es 223 Personen. So viele wie noch nie! Wir bekommen weniger Kirchensteuern. Die Zahl der Pfarrer:innen wird sich bis in die 2030er Jahre auf zwei reduzieren.“, so fasst der Vorsitzende des Presbyteriums, Alexander Tschense, die Ausgangssituation zusammen. Eine Ausgangsituation, die überall in Deutschland Kirchengemeinden, ganz gleich ob evangelische oder katholische, beschäftigt. Das Presbyterium hat sich entschieden, die Veränderungen selbst zu gestalten und sich bewusst für etwas zu entscheiden, anstatt eine Defizitdiskussion zu führen.
Für die Lippstädter standen bei der Diskussion zwei Aspekte im Mittelpunkt: Wie kann dem Verlust von kirchlicher Sozialisierung entgegengewirkt und wie kann das auf Nächstenliebe gründende diakonische Engagement intensiviert werden?
Mit dem Arbeitsbereich „Vorne anfangen“ hat die Kirchengemeinde schon vor zwei Jahren einen Grundstein gelegt. Die Kontaktaufnahme zu jungen Familien geschieht zum Teil schon im Krankenhaus, es sind Angebote für Krabbelkinder und Eltern entstanden, Schulklassen haben mit dem Maskottchen „Nüsschen“ die Zeit vor Ostern auf neue Weise entdeckt, Eltern tauschen sich gemeinsam in Workshops über die bevorstehende Taufe aus oder feiern mit ihren Kindern Tauferinnerung. Auch Krabbelgottesdienste an den großen Festtagen gehören zum Programm. Nach anfänglichen pandemiebedingten Schwierigkeiten zeigt sich inzwischen, dass der Weg, vorne anzufangen, erfolgversprechend ist.
Daran soll auch die neue Konfirmandenzeit anknüpfen, mit der zukünftig in ganz Lippstadt Kirche und Glaube für Kinder und Jugendliche von 8 Jahren bis 14 Jahren erlebbar werden soll. Ziel ist es auch, Eltern und Paten in Angebote einzubinden und das gemeinsame Erleben zum Gesprächsthema in den Familien werden zu lassen. Noch sucht die Kirchengemeinde eine Diakonin/einen Diakon, als Verstärkung für das Pastoralteam. Sobald diese Person gefunden ist soll es aber losgehen. Vorne anfangen und die neue Konfirmandenzeit werden die Grundlage für neue Begegnungen schaffen.
Mit der Initiative „demnächsten.jetzt“ stärkt das Presbyterium das diakonische Handeln der Gemeinde: Die Kooperation mit der KIA, die Mahlzeit, die Schulmaterialienkammer, das Begegnungsangebot „Kreuz und Quer“, der Jugendtreff Shalom und die Arbeit des Diakonieausschusses zeugen davon. Über 100.000 Euro, und damit fast 20 Prozent der Kirchsteuern, hat die Kirchengemeinde im vergangenen Jahr in diese Arbeit investiert und wird dies auch in Zukunft tun.
Gleichwohl haben die Reduzierung der Pfarrstellen (im Dezember geht das Pfarrehepaar Peters und nur ein Stelle wird neu besetzt) und die rückläufigen Kirchensteuern Konsequenzen. Mit der Fokussierung auf bestimmte Bereiche der Arbeit werden auch manche Gruppen und Kreise auslaufen. Hinzu kommt, dass sich die Kirchengemeinde von vier Gebäuden trennen wird: Die Christophoruskirche in Lipperbruch, die Friedenskirche in Bad Waldliesborn, das Gemeindezentrum „Im Brühl" in Benninghausen und die Lukas-Kirche in Hörste werden zum 1. Januar 2024 geschlossen.
Doch nicht nur in den verbleibenden Kirchen, der Johanneskirche im Lippstädter Süden, der Stiftskirche in Cappel sowie der Marien- und der Jakobikirche in der Innenstadt, sollen zukünftig Gottesdienste gefeiert werden. Traditionen wie die Gottesdienste im Kurpark in Bad Waldliesborn, Gottesdienste auf dem Rathausplatz oder im Grünen Winkel oder die Feiern des Erntedankfestes auf Bauernhöfen in den Ortsteilen werden fortgeführt. Für das Feiern der großen Festtage Ostern, Pfingsten und Weihnachten, entwickelt eine Arbeitsgruppe zusammen mit Gemeindegliedern neue Impulse.
Wie bisher wird es drei Seelsorgebereiche geben, denen eine Pfarrerin oder ein Pfarrer fest zugewiesen ist und die in Seelsorgefragen ansprechbar sind. Trotz des Rückgangs des theologischen Personals, werden Kasualien und Einzelseelsorge Vorrang haben. Die pastorale Versorgung bleibt gewährleistet.
„Ob „Vorne anfangen“, die neue Konfirmandenzeit und die Neustrukturierung der Gottesdienste zum Erfolg führen werden, ist ungewiss. Sicher ist, dass wir ohne Veränderungen dem Trend der kirchlichen Entfremdung nichts entgegenzusetzen haben.“, ist sich Pfarrer Thomas Hartmann sicher.